Der „Osterspaziergang“ – und was dahintersteckt

Von Dr. Denise Roth, Museumsleiterin

Den Osterspaziergang aus Goethes Faust I kennen die meisten, und sei es nur wegen der Anfangszeilen „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche“ oder des finalen, glückseligen Ausrufs: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“

Goethe schrieb seinen „Osterspaziergang“ aus Erinnerungen an Frankfurt am Main und Umgebung und integrierte ihn erst in seine dritte Faust-Fassung (1808) – die Szene fehlt somit sowohl im Urfaust (1772/1882) als auch im Fragment (1790). 

Goethe in der römischen Campagna (1787), Porträt von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829)

Typisch Goethe dabei wiederum, wie authentisch die häufig an Ostern zu erlebende Witterung beschrieben wird: Goethe benutzt naturwissenschaftliche Beschreibungen seiner Zeit und „übersetzt“ sie in poetische Sprache. Zu lesen ist damit, laut Diplom-Meteorologe Christian Herold, die „exakte Beschreibung eines Wettergeschehens bei einer Nord- oder Nordwestwetterlage im Frühjahr. […] Bei einer derartigen Wetterlage gelangt auf der Rückseite eines Tiefdruckgebietes, dessen Kern meist über dem östlichen Mitteleuropa liegt, hochreichende Kaltluft polaren Ursprungs nach Deutschland. In dieser bilden sich dann zahlreiche Schauer, die in der kalten Luft Anfang oder Mitte April zumeist noch als Schnee oder Graupel fallen.“ (Christian Herold, Deutscher Wetterdienst).

Doch bei allem interessanten Wissen, aller Interpretation, die Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen zu Goethes Faust angehäuft und veröffentlicht haben, ist und bleibt zentral: Goethes Text selbst.

Wir wünschen Ihnen frohe und gesegnete Ostertage!

Osterspaziergang

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche,
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.

Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt’s im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen.
Aus dem hohlen finstren Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbes-Banden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluss, in Breit’ und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.

Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!

(Monolog Fausts, Szene „Vor dem Tor“
Faust. Eine Tragödie
(1808), Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

Der Osterspaziergang
Bild: Vom Eise befreit sind Strom u. Bäche – Durch des Frühlings holden, belebenden Blick – Im Tale grünet Hoffnungsglück (Göthe).
Im Bild signiert: Paul Hey. Verso: Frühling. 4 Künstlerpostkarten von Paul Hey. Nr. 2. Kunstverlag Hans Friedrich Abshagen, Dresden. Nr. 186. Signet: A, eingeschrieben H F; auf Schild. Datiert 1917. – Quelle: Goethezeitportal

Wir freuen uns auf Ihren Osterspaziergang ins Faust-Museum!
Unsere Öffnungszeiten über Ostern sind:

Karfreitag, Ostersamstag und Ostersonntag jeweils von 12 – 17:30 Uhr!
Am Ostermontag bleibt das Museum geschlossen.

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